Empfindungsentwicklung und Aufbau von glücklichen Beziehungen

Ein glückliches Beziehungsleben ist nicht das Ergebnis von Glück oder Pech, wie oft geglaubt wird. Vielmehr kann der Einzelne seine Beziehungen selbst ausgestalten. Insbesondere die Schulung des Empfindungslebens, die unter anderem durch die Yoga-Praxis möglich ist, kann hier förderlich sein.

verfasst von Rita Egger (August 2017)

Es ist ein natürliches Bedürfnis in der Seele des Menschen, in Beziehung zu sein. Das Beziehungsleben ist jedoch heute vielfach ein nicht ganz einfaches Gebiet. Freundschaften und Bekanntschaften verbleiben häufig auf einer oberflächlichen oder schnelllebigen Ebene. Bei den Ehen oder Partnerschaften lässt sich ein hoher Anstieg an Scheidungen und Trennungen feststellen. Viel Leid ist damit verbunden. Ganz allgemein erlebt man im Stress und in der Hektik des Alltags die Beziehung zu anderen oder auch zur Natur oft tendenziell wie getrennt oder abgeschnitten.

Man sagt heute in der Regel: „Ich habe Glück gehabt mit meiner Frau / mit meinem Mann. Wir haben eine glückliche Beziehung.“ Oder: „Leider habe ich Pech gehabt mit meiner Frau / mit meinem Mann. Unsere Ehe ist unglücklich.“ An diesen sehr typischen Aussagen wird deutlich, dass man davon ausgeht, dass es einfach Glück oder Pech ist, ob man ein schönes Beziehungsleben hat. Man denkt nicht, dass es möglich ist, eine Beziehung eigenständig zu einer schöneren, glücklicheren Form weiterzuentwickeln und in einen Aufbau zu bringen. Es bleibt in gewisser Weise bei einer Schuldzuweisung entweder an den Partner oder an sich selbst, wie zum Beispiel an dieser Aussage, die in Resignation endet, deutlich wird: „Meine Beziehungen gehen immer schief. Ich glaube, ich bin beziehungsunfähig. Ich bleibe lieber allein.“ Viele Menschen leiden heute aufgrund eines mangelnden Beziehungslebens unter Einsamkeit.

Mit diesem Artikel möchte ich Möglichkeiten des Beziehungsaufbaus aufzeigen. Ein glückliches oder unglückliches Beziehungsleben ist nicht das Ergebnis von Glück oder Pech, wie vielfach geglaubt wird. Vielmehr kann der Einzelne seine Beziehungen durchaus selbst zu einer vollkommeneren Form ausgestalten. Insbesondere die Empfindungsentwicklung kann hierfür eine sehr förderliche Unterstützung geben.

Die Unterscheidung von Empfindung und Emotion

Empfindungen sind zu unterscheiden von Emotionen. Empfindungen sind feine Gefühle, die den Menschen einerseits verbinden mit der Natur, mit den Mitmenschen, ihn aber andererseits nicht in eine Anbindung oder zu enge Bindung führen, sondern gleichzeitig eine Freiheit eröffnen. Emotionen hingegen, wie zum Beispiel der Ärger, aber auch die überschwängliche Freude, steigen automatisch aus dem unbewussten Gefühls- und Willensleben auf und können den Menschen mit sich hinweg reißen und ihn so gefangen nehmen, dass er keinerlei Wahrnehmung nach außen mehr besitzt.

 

Diese zeichnerische Darstellung der Emotion zeigt die Bewegung, die sich in sich selbst zurückschließt und damit abschließt.

Diese Zeichnung zeigt, wie die Empfindung sich mit einer aufstrebenden und weit werdenden Dynamik nach außen öffnet und gleichzeitig einen Raum gewährt.

 

 

 

 

 

 

 

 

Beide Zeichnungen aus: Grill Heinz, Das Wesensgeheimnis der Seele, S. 246/247.

 

„Eine Beziehung haben“ oder „in Beziehung sein“?

Interessant ist, in diesem Zusammenhang auch einmal auf den Sprachgebrauch zu achten. Wie wird der Begriff “Beziehung“  verwendet? In der Regel sagt man „Ich habe eine Beziehung.“  so wie man sagt „Ich habe ein Auto.“ oder „Ich habe ein Haus.“. Beziehung wird hier in einen Zusammenhang mit etwas gebracht, das man besitzen kann. Beziehung wird zu etwas Materiellem, das man besitzen kann. Viele aber kennen sicherlich die traurige Erfahrung, dass man zwar eine Beziehung „haben“ kann, aber doch völlig einsam und allein innerhalb der Beziehung sein kann. Wie oft hört man Menschen sagen „Ich habe eine Frau / einen Mann, aber wir leben nur noch nebeneinander her.“ Neben der äußeren Form, dass zwei Menschen in einer Ehe oder Partnerschaft zusammenleben, scheint es noch eine innere Form zu geben, die sich vielleicht folgendermaßen benennen lässt: „in Beziehung sein“ oder auch „nicht in Beziehung sein“.

Was drückt sich aus mit der Beschreibung „in Beziehung sein“? Man könnte auch sagen „in  Verbindung sein“. Genau genommen ist damit ein gewisses Verhältnis zwischen einem Menschen  zu einem anderen Menschen oder auch zu einem Objekt gemeint. Dieses Verhältnis kann zu eng, zu symbiotisch sein, aber es kann auch im Gegenteil zu distanziert sein. In der Regel stellt es sich je nach Veranlagung automatisch mehr in der einen Richtung oder der anderen Richtung her. Dieses Verhältnis muss der Mensch lernen zu bestimmen und zu ordnen.

 

Auf dieser Zeichnung von Festgästen aus ägyptischen Wandmalereien ist sehr deutlich sichtbar, wie die Personen miteinander in Beziehung stehen und wie dieses Verhältnis genau aufeinander abgestimmt ist. Es wirkt verbunden, aber doch nicht zu eng und auch nicht zu distanziert. Eine natürliche Verbindung und eine Ordnung drücken sich aus.

 

Die Empfindung steht in einem direkten Zusammenhang mit diesem Beziehungsverhältnis. Sie kann dann entstehen, wenn die rechte Ordnung, das rechte Verhältnis zwischen zwei Menschen oder von einem Menschen zu einem Objekt hergestellt wird. Es benötigt zunächst eine klare Wahrnehmung nach außen wie auch zu sich selbst und gleichzeitig ein Bewusstsein für eine Ordnung. Dies ist beispielsweise in der Musik sehr schön erlebbar. Die verschiedenen Töne werden mit der unterschiedlichen Tonhöhe und mit ihrer Länge in ein bestimmtes Verhältnis zueinander gebracht, so dass sich eine harmonische Melodie entwickeln kann. Man könnte durchaus sagen, die Entwicklung von Empfindungen hat auch etwas damit zu tun, dass der Mensch gewissermaßen im übertragenen Sinne musikalisch werden muss.

Mit der Empfindung ist eine Verbindung zwischen zwei (oder mehreren) Menschen oder zwischen einem Subjekt und einem Objekt gegeben. Die Empfindung schafft eine Verbindung, aber gleichzeitig schließt sie den Einzelnen nicht ab, sondern öffnet ihn nach außen und eröffnet damit auch eine Freiheit.

Eine Beziehung, die aufgrund einer Empfindung aufgebaut wird, wirkt immer einerseits verbindend untereinander, aber gleichzeitig sind die Personen nicht in einer Gruppe abgeschlossen, sondern sie bleiben auch offen nach außen. Bei der Gruppenbildung durch Emotionen entsteht eine eher abgeschlossene Sphäre, bei der Außenstehende leicht ausgegrenzt werden und sich stärker einsam fühlen. Gleichzeitig sind auch die Personen innerhalb der Gruppe nicht wirklich in einer tieferen Verbindung miteinander, was aber oft aufgrund der starken Emotionen von den Personen selbst gar nicht deutlich bemerkt wird.

Eine Stärkung des Empfindungslebens fördert die Fähigkeit des Einzelnen, sich sowohl mit sich selbst, mit dem eigenen Körper, wie auch mit dem Gegenüber auf harmonische Weise zu verbinden.

Die Entwicklung von Empfindungen in der Asanapraxis

„Eine asana, eine Körperübung, offenbart die spezifischen entwickelten Gedanken und Gefühle und kommuniziert diese auch nach außen, denn sie ist gar nicht so sehr eine reine Körperübung, sondern mehr eine feinfühlige Empfindungsübung, bei der die Empfindungen immer mehr als kreative Kräfte und auch als beziehungsfreudige, reale Bewusstseinsformen erlebt und im Ausdruck mitgeteilt werden.“ (1)

Die Asanapraxis bietet eine sehr schöne und weitreichende Möglichkeit, das Empfindungsleben zu schulen. Die neu geschaffenen Empfindungen geben eine sehr schöne Erweiterung beim Praktizieren von Asana. Es ist ein sehr großer Unterschied, ob eine Asana einfach nur praktiziert wird, oder ob mit dem Ausführen einer Asana eine spezifische Empfindung in das Erleben kommt. Es bereichert sich damit, wie Heinz Grill beschreibt, die ganze seelische Kapazität des Einzelnen, harmonische Verbindungen zu schaffen. Auf diese Weise kann er schließlich nach und nach sein Beziehungsleben bereichern und dieses zunehmend in einen glücklichen und harmonischen Aufbau führen.

Bei der Yogaübung des Drehsitzesmatsyendrasana – kann eine Empfindung geschaffen werden, dass der Praktizierende richtig sitzt, dass er nicht abhebt mit dem Sitz, sondern richtig am Boden sitzt und dies auch deutlich erlebt. Gleichzeitig erlebt er sich dann nach oben hin und im Kopfbereich frei und weit. Auch die Wirbelsäule richtet sich damit leichter auf.

Im Drehsitz sitzt der Praktizierende mit ange-winkelten Beinen auf dem Boden und führt die gut aufgerichtete Wirbelsäule in eine Drehung. Die Drehung kann umso leichter und freier angesetzt werden, je besser der Sitz am Boden zur Ruhe findet.

Mit einer einfachen Vorübung kann diese Empfindung des ruhigen Sitzens bei gleich-zeitigem freien Erleben nach oben hin besser in die Erfahrung gelangen. Hierzu wird nur einmal die Sitzhaltung mit den Beinen eingenommen und die Wirbelsäule von unten her gut aufgerichtet, ohne in die Drehung zu gehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit dieser Empfindung lernt der Übende, auf bewusste Weise ein bestimmtes Verhältnis zwischen verschiedenen Körperpartien herzustellen und dieses Verhältnis auch bewusst zu erleben. Er lernt, eine Ordnung zu schaffen, die vorher in dieser Form nicht vorhanden war. Sehr häufig ist es gerade beim Drehsitz der Fall, dass der Praktizierende mit dem Sitz tendenziell abhebt und gar nicht richtig auf dem Boden zum Sitzen kommt. Er ist damit auch im Schulter-Nacken-Bereich zu stark verspannt und die Drehung gerät in der Folge ebenfalls in eine Fixierung.

Das ruhige Sitzen am Boden führt die Atembewegung zu einer Tiefe in den Bauchraum und fördert, dass sich der Mensch auf harmonische, natürliche Weise mit seinem Körper verbunden fühlt. Diese Verbundenheit schließt ihn jedoch nicht bei sich selbst ab, sondern öffnet ihn gleichzeitig nach außen.

Auch das Beziehungsleben gewinnt an Freiheit und Weite und entledigt sich zunehmend der Fixierungen, wenn der Einzelne lernt, eine Ordnung im rechten Maße herzustellen. Es kann sich ein natürliches Verbundensein bei gleichzeitiger Offenheit nach außen entwickeln.

Beim Dreieck steht der Übende mit den Beinen in einem weiten Dreiecksstand und beugt die Wirbelsäule in einer spannkräftigen Ausdehnung zur Seite hinaus. Der am Kopf ausgestreckte Arm setzt die Bewegung auf sanfte Weise fort. Der nach unten gerichtete Arm ist entspannt und berührt nur leicht das Bein ohne zu stützen.

Bei der klassischen Stellung des Dreieckstrikonasana – kann besonders eine Empfindung von Weite geschaffen werden. Das Erleben der Weite entsteht, wenn zunächst auf einen möglichst entspannten und vor allem im Nacken- und Schulterbereich gelösten Bewegungsansatz geachtet wird. Der Übende richtet sich zuerst mit dem Bewusstsein ganz auf den weiten umgebenden Raum, in den er sich hineinbewegt, aus. In der Folge findet er leichter eine gute Zentrierung im Bereich des Sonnengeflechts, etwa in der Mitte des Rückens, woraus die Ausdehnung der Wirbelsäule zur Seite mit einer großen Spannkraft erfolgen kann.

Ein weites Raumerleben fördert rückwirkend den Halt und die Zentrierung bei sich selbst und die Möglichkeit, umso spannkräftiger in die Ausdehnung hinein zu gehen. Die Empfindung von Weite begleitet diese spannkräftige Willensaktivität.

Meist ist die Empfindung leichter zu erleben, wenn der Übende nicht gleich in die Endposition, in der er dann doch eine ordentliche Spannung und Anforderung erlebt, hineingeht, sondern wenn er erst einmal eine leichtere Variante praktiziert, in der nur einmal ganz besonders Wert auf die zu schaffende Empfindung gelegt wird.

 

 

Einfache Variante 1: Hier wird die Wirbelsäule mit geschlossenen Armen beginnend aus dem Sonnengeflecht bei gleichzeitig entspanntem Oberkörper in einer geraden Linie nach oben heraus gestreckt.

Einfache Variante 2: Die Wirbelsäule wird aus dem Sonnengeflecht mit leicht nach oben geöffneten Armen nur im Ansatz zur Seite hinaus gespannt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit dieser sehr spezifischen Empfindung der Weite, die in der Asanapraxis geschaffen und erlebt wird, erhält die Fähigkeit, sich nach außen in Beziehung zu bringen und gleichzeitig auch einen Halt in sich selbst zu finden, eine Förderung. Es wird damit der heute so weit verbreiteten Tendenz eines Rückzuges aus dem Beziehungsleben, welche oft aufgrund von Enttäuschungen oder Schwierigkeiten in bisherigen Erfahrungen verstärkt wird, entgegengewirkt und der Wille, in Beziehung zu treten, sich in Beziehung zu bringen, wird neu belebt.

Verschiedenste Empfindungen können mit der Asanapraxis kreiert und kennen gelernt werden und auf diese Weise das seelische Vermögen des Einzelnen bereichern und ihn in der Fähigkeit unterstützen, seine Beziehungen eigenaktiv aufzubauen, zu entwickeln und zu gestalten. Ein glückliches Beziehungsleben ist nicht eine reine Glückssache, sondern es kann durch den Menschen selbst eine harmonischere und beziehungsfreudigere Verbindung geschaffen werden.

(1) Grill Heinz: Die Seelendimension des Yoga (2018), S. 98.


Literatur mit einer Vielzahl an Anregungen zur Empfindungsentwicklung:

  • Grill, Heinz: Der freie Atem und der Lichtseelenprozess. Der Neue Yogawille in seiner Beziehung zur Anthroposophie (Heinrich Schwab Verlag, 2017)
  • Grill, Heinz: Die Seelendimension des Yoga. Praktische Grundlagen zu einem spirituellen Übungsweg (Lammers-Koll-Verlag, 2018)
  • Grill, Heinz: Das Wesensgeheimnis der Seele. Die Organe des Menschen, ihr seelischer Zusammenhang und die Möglichkeiten eines spirituell orientierten Bewusstseinsaufbaues. Vier große Entwicklungsprozesse (Stephan Wunderlich Verlag, 2014)